SZ vom 21.11.2000
Wissenschaft
Eine Zukunft auf Sand
gebaut
Ein Kreislauf-Prozess auf
Silizium-Basis soll Energie und chemische Produkte liefern – ob es wirklich
funktioniert, ist offen / Von Christopher Schrader
Als der junge Chemiker das
Glasröhrchen in den Aschenbecher leerte, dürften die Professoren
den Atem angehalten haben. Denn was Peter Plichta da ausgeschüttet
hatte, war ein Silan, ein Stoff, vor dem die Chemiebücher warnen:
explosiv. Doch nichts geschah. Da wurde einer der Herren misstrauisch:
„Junger Mann, ist das überhaupt ein Silan?“, fragte er. Statt einer
Antwort griff sich Plichta die Zigarre eines anderen Ordinarius und entzündete
den Inhalt des Aschenbechers, der mit lautem Knall explodierte.
Das war vor 30 Jahren in
Köln. Wissenschaftlich veröffentlicht hat Plichta nichts über
den damals gefundenen Stoff und verwandte Verbindungen; er besitzt ein
Patent von 1976 darüber. Heute erzählt er die alte Geschichte,
um zu belegen, dass sich mit den höheren Silanen, Kettenmolekülen
aus fünf bis zehn Einheiten von Silizium und Wasserstoff, viel anfangen
ließe. Plichta behauptet, einen Kreislauf-Prozess erdacht zu haben,
der die Elemente Silizium, Stickstoff und Wasserstoff verknüpft. Einen
ähnlichen Zirkel beschreibt der Frankfurter Anorganik-Professor Norbert
Auner.
Explosion im Chemie-Labor
Der Kreislauf könnte
– theoretisch – eines Tages den Energie-Sorgen der Menschheit ein Ende
setzen. Doch zwischen Grundlagen-Forschung und technischer Umsetzung liegt
ein weiter Weg. Und dabei ist eher hinderlich, dass entscheidende Schritte
nicht wissenschaftlich veröffentlicht sind. Es gibt eine Reihe erteilter
oder eingereichter Patente, aber nur wenig Experimente.
Der Aschenbecher ist eines
der wenigen Reaktionsgefäße, die eine Rolle spielen. Ein zweites
ist Plichta Ende der 60er Jahre samt Labor um die Ohren geflogen. Und das
dritte ist ein Glasofen, in dem Silizium-Pulver mit Stickstoff reagiert
und Hitze erzeugt. Diesen Ablauf hat Auner mit Fachleuten der Wacker-Chemie
in Burgdorf bei München nachgewiesen. Schon bei 400 Grad Celsius
– und das ist neu – beginnt die Reaktion, die Temperatur steigt, bis schließlich
bei über 1000 Grad das zugesetzte Kupfer glühend aus dem
Reaktor tropft.
Wie dabei Silizium mit Stickstoff
brennt, ist der Schlussstein für den Kreislauf – und der Hauptunterschied
zwischen den Ideen der Chemiker. Auner hat dafür den experimentellen
Beweis erbracht, und ein Patent eingereicht; Plichta hat eine ähnliche
Reaktion als Idee in einem 1999 erteilten Patent niedergelegt, angeregt
durch die Labor-Explosion 30 Jahre zuvor, als deren Ursache er ebenfalls
Stickstoff ausgemacht hat.
Doch dann kommt zunächst
Auners Arbeit an die Öffentlichkeit. Vor gut zehn Tagen prangt auf
dem Titel der Illustrierten „Stern“ die Zeile: „Sand - das Öl der
Zukunft“, der Artikel beschreibt die Vision des Frankfurter Professors.
Eine Zeitlang herrscht dicke Luft zwischen den Forschern, die zuvor kooperiert
hatten. In Interviews mit der SZ erheben beide zunächst den Anspruch,
den entscheidenden Schritt erkannt zu haben. Doch dann begraben sie buchstäblich
über Nacht den Streit, und sprechen nun wieder von Zusammenarbeit.
Plichta hat nach „30 Jahre
Nachdenken“ folgenden Kreislauf erdacht:
1.) Irgendwo in der Wüste
verwandelt Strom aus Solarzellen den reichlich vorhandenen Sand in reines
Silizium. Dazu sind Temperaturen von 2000 Grad nötig.
2.) Das Silizium lässt
sich gefahrlos transportieren und bildet in einer anderen Fabrik mit Wasserstoff
höhere Silane; sie enthalten fast genau so viel Energie wie Benzin.
Plichta hat die Idee zu dem Verfahren zum Patent angemeldet.
3.) Das „Silan-Benzin“ treibt
Autos, Flugzeuge, gar Raketen an. Allerdings ist dafür ein besonderer
Motor nötig, über den Plichta ebenfalls ein Patent besitzt. Als
zusätzlichen Treibstoff benötigt die Maschine feines Silizium-Pulver.
Dadurch will Plichta erreichen, dass das Halbmetall nur mit dem Stickstoff
in der Luft reagiert. Das liefert zwar weniger Energie, als wenn Sauerstoff
ins Spiel käme, aber ein interessantes Nebenprodukt: Silizium-Nitrid,
aus dem sich superharte Keramik fertigen lässt. Es soll im Motor zur
weiteren Verwendung aufgefangen werden, ohne ihn zu zerstören.
4.) Überschüssiges
Silizium-Nitrid wird gesammelt und in einer Fabrik zerlegt, so dass Ammoniak
entsteht. Das kostet Energie, doch Ammoniak ist die zweithäufigste
Industrie-Chemikalie; Dünger und andere Produkte werden daraus gemacht.
Seine Herstellung auf herkömmlichem Weg ist ein Energiefresser.
5.) Das Ammoniak dient zudem
als Brennstoff und liefert wieder Energie, etwa in Kraftwerken. Dabei werden
lediglich Stickstoff und Wasser frei.
Norbert Auner setzt in dem
Ablauf die Akzente ein wenig anders, eher auf die chemische Produktion
als auf die Energiewirtschaft: Die Grundlagenforschung, sagt er, hat schon
Ansätze geliefert, den ersten Schritt zu vereinfachen, die enorm energieaufwändige
Isolierung des Silizium aus Sand. Plichtas zweiten Schritt, die Herstellung
der Silane, will Auner überspringen und die Reaktion von Siliziumpulver
mit Stickstoff ankurbeln, indem er Kupferoxid in die Mischung gibt – darüber
hat er das Patent angemeldet. „Dass das funktioniert ist bewiesen“, sagt
er, „die Reaktion mit den Silanen ist zwar plausibel, aber noch nicht experimentell
belegt.“ Aus dem Siliziumnitrid, glaubt Auner weiter, ließen sich
womöglich auch Silikone herstellen, ein neun Milliarden US-Dollar
schwerer Markt. Und schließlich könnte etwa der Ammoniak elektrolytisch
zerlegt werden, um mit dem Wasserstoff per Brennstoffzellen Autos anzutreiben.
„Das ist Utopie“, gibt Auner
freimütig zu, „und es erfordert sicherlich zehn bis zwanzig Jahre
Forschung.“ Denn noch fehlen wichtige Schritte. Die großtechnische
Herstellung der Silane und der Motor funktionieren nur auf dem Papier,
Plichtas beantragte und erteilte Patente garantieren weder die Funktionsfähigkeit
der Anlagen, noch sagen sie etwas über deren Wirkungsgrad.
Niemand weiß, ob sich
Ammoniak, Silizium-Nitrid und die Silikone auf diese Weise günstiger
erzeugen lassen als mit den etablierten Methoden der Chemie-Industrie.„Wir
kennen ein Vielzahl interessanter Prozesse, die sich energetisch nicht
rechnen“, sagt Hubert Huppertz von der Universität München. Und
Klaus Höfelmann, Geschäftsbereichsleiter für die Silikonherstellung
bei Wacker, warnt: „Es gibt noch keine Zahlen, ob es sich überhaupt
lohnt, die Sonne in der Wüste für die Silizium-Trennung anzuzapfen.“
In der Tat entscheidet sich
hier das Schicksal von Auners und Plichtas Plänen: Lohnt es sich,
mit Sonnenlicht die enorm feste Bildung zwischen Silizium und Sauerstoff
im Sand aufzubrechen? „Ich weiß, dass die Chemie stimmt“, sagt Auner.
„Aber jetzt brauche ich die Hilfe von Ingenieuren.Und ich bin sehr optimistisch,
dass die dann die technischen Lösungen finden.“ Plichta hingegen gibt
sich nonchalant: „Einen Kreislauf zu entwickeln ist eine Glanzleistung.
Darauf bin ich stolz. Ob das dann auch technisch funktioniert, ist letztlich
egal.“